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Grenzadler

Im Verlauf des Rennsteiges auf dem Thüringer Wald finden wir insgesamt 3 solcher Grenzadler, die einst die Grenze zu den ehemalig preußischen Gebieten markierten. Eine direkte Grenzfunktion besaßen diese Steine nicht. Sie hatten mehr symbolischen Charakter. Die relativ wuchtigen Steine hatten eine bewegte Vergangenheit. Sie wurden umgefahren, wieder aufgestellt, mit zum Teil nicht zutreffenden Informationen versehen, der preußische Adler wurde gestohlen, sie wurden im Zuge von Baumaßnahmen umgesetzt.

Folgende 3 Grenzadler stehen im Verlauf des Rennsteiges (von Blankenstein nach Hörschel):

  • Grenzadler bei Oberhof
  • Grenzadler an der Neuen Ausspanne
  • Grenzadler am Kleinen Inselsberg
Die wechselvolle Geschichte wird in einer Ansprache von Hartmut Burkhardt vom Verein für Schmalkaldische Geschichte und Landeskunde anlässlich der Wiederaufstellung des Grenzadlers auf dem Nesselberg an der Neuen Ausspanne am besten dargelegt, so dass ich mich entschlossen habe, diesen Beitrag ungekürzt bereitzustellen. Ergänzt werden die Darlegungen mit aktuellen und historischen Belegen aus meinem Archiv.
 

Hartmut Burkhardt bei seiner Ansprache (Foto: Burkhardt)

Ansprache anlässlich der Wiederaufrichtung des  Preußischen Grenzadlers an der Neuen Ausspanne Nesselberg, am 3. Oktober 2007 (von: Hartmut Burkhardt, Verein für Schmalkaldische Geschichte und Landeskunde, Schmalkalden)

Seit die Henneberger Grafen 1360 das Gebiet um Schmalkalden mit dem Amt Schmalkalden, der Cent Brotterode und der Vogtei Herrenbreitungen, das sie schon „Herrschaft Schmalkalden“ nannten, nur mit Hilfe des Landgrafen von Hessen aus der Pfandherrschaft lösen konnten und nun je zur Hälfte mit den Hessen verwalten mussten, spätestens seit dem Aussterben der Henneberger 1583 und dem Beginn der hessischen Alleinherrschaft, war das Schicksal der hessischen Exklave Schmalkalden untrennbar mit der geschichtlichen Entwicklung der Landgrafschaft Hessen verknüpft. 1619 erfolgte durch Zugewinn des kursächsischen AmtesHallenberg im Tausch gegen die im hessischen Besitz befindliche halbe Cent Benshausen (Permutationsvertrag vom 13.04.1619) noch eine Gebietserweiterung. In dieser Form überdauerte das hessische Herrschaftsgebiet weitere fast 250 Jahre – nur unterbrochen in napolionischer Zeit von 1807 bis 1813 durch Zugehörigkeit als Kantondes künstlichen Staatsgebildes „Königreich Westfalen“ unter Jerome, dem Bruder Napoleons. (Frieden von Tilsit7.7.1807. Bildung der Kantone Schmalkalden, Floh, Seligenthal, Brotterode, Herrenbreitungen, Steinbach). Und selbst nach der Annexion Kurhessens durch Preußen 1866 blieb die Herrschaft Schmalkalden als Teil der neu gebildeten preußischen Provinz Hessen-Nassau, Regierungsbezirk Cassel „hessisch“ orientiert, bis sie durch „Führererlaß“ vom 3. 7.1944 im Zuge einer „Zentralisierung der Verteidigungsstruktur“ derpreußischen Provinz Sachsen, Regierungsbezirk Erfurt zugeschlagen wurde. Damit endete die Bindung unseres Gebietes an Hessen nach fast 600 Jahren endgültig.

Wenn wir heute am 3. Oktober hier oben stehen, um den seit September 2004 „gesichtslosen“ gewordenen Preußischen Grenzadler an der Neuen Ausspanne wieder aufgestellt zu sehen, ist ein Blick in die mit ihm verbundene deutsche und Territorialgeschichte des 19. Jahrhunderts angebracht.

Nachdem sich die hessische Exklave Schmalkalden unter den hessischen Landgrafen mehr oder weniger beachtet fand- man denke nur an den aufwändigen Bau der Sommerresidenz Wilhelmsburgunter Landgraf  Wilhelm IV – trat zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine deutliche Verschlechterung ein.Nach dem Ende der sog. Revolutionskriege mit Frankreich und dem Frieden von Luneville 1801 wurden linksrheinische deutsche Gebiete an Frankreich abgetreten und brachten auch territoriale Verluste für das hessische Landgrafenhaus. Der damalige LandgrafWilhelm IX. erhielt 1803 als „Ausgleich“ als Wilhelm I. die Kurfürstenwürde und wir Schmalkalder wurden „kurhessisch“, wie es noch heute an zahlreichen Grenzsteinen aus dieser Zeit am Rennsteigsichtbar ist.

Napoleon Bonapartes erwachte Expansionsgelüste – 1804 hatte er sich zum erblichen Konsul Frankreichs selbst erhoben – richteten sich nun auf Deutschland, seine Hegemonievorstellungen auf Europa. Nachdem die Habsburger schon gedemütigt waren, richtete sich jetzt der Stoß gegen die zweite Hauptmachtim Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, gegen Preußen, das 1806 bei Jena und Auerstedt vernichtend geschlagen wurde und im Frieden von Tilsit seine tiefste Erniedrigung erlebte. Das kleine Kurhessen fürchtete sich, zwischen die Fronten zu geraten. Kurfürst Wilhelm I. hatte deshalb 1806 mit Napoleon einen „Neutralitäts-Vertrag“ geschlossen, der aber nach dem Sieg über die Preußen von  Napoleon gebrochen wurde mit der Begründung, der hessische Kurfürst hätte zum gleichen Zeitpunkt seine Armee auf 20.000 Mann verstärkt und offensichtlich nur auf einen anderen Ausgang des Krieges gegen Preußen spekuliert, um dann mit diesen gemeinsam gegen Napoleon Front zu machen.

Der Kurfürst wurde abgesetzt, das Kurfürstentum dem Staatsgebilde Königreich Westfalen eingegliedert, das hauptsächlich aus Kurhessen,  preußischen und braunschweigischen Gebieten gebildet wurde. Die Herrschaft Schmalkalden hatte in dieser Zeit viele Truppendurchzüge zu erdulden. Die Notlage der Bevölkerung verstärkte sich. Obgleich 1807 eine neue Verfassung für das Königreich Westfalen mit fortschrittlichen Inhalten in Kraft trat, war dies wenig Ausgleich für die Lasten der napoleonischen Herrschaft. Mit dem Sieg der alliierten Heere in der Völkerschlacht bei Leipzig wurde Napoleons Niederlage besiegelt und damit auch das Ende des Königreichs Westfalen.

Im November 1813 konnte Kurfürst Wilhelm I. nach Cassel zurückkehren. Europa musste neu geordnet werden. Der habsburgische Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation  Franz II. hatte – offensichtlich dieser Würde und Pflichten überdrüssig – schon 1804 den Titel eines neuen Kaiser-reiches Österreich-Ungarn angenommen und 1806 die seit 1438 in habsburgischen Händen liegende Krone des Hl. R. R. D. N. niedergelegt. (Seither befinden sich die Reichsinsignien in Wien – Ausnahme 1938 – 1945 in Nürnberg).

Beim Wiener Kongreß 1815, an dem alle europäischen Staaten teilnahmen, wurden unter dem habsburgischen Fürstkanzler Metternich eine neue europäische Staatenordnung und neue Grenzfestlegungen vereinbart. Deutschland wurde durch den Widerstand Österreichs der erhoffte Nationalstaat verweigert. Dagegen entstand ein loser Staatenbund – der Deutsche Bund - mit dem Kaisertum Österreich als Präsidialmacht, den Königreichen Preußen,Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg, dem Kurfürstentum Hessen – Kurfürst Wilhelm I. wurde die Königswürde verweigert, er behielt den jetzt völlig wertlosen Titel „Kurfürst“- ,sieben Großherzogtümern, zehn Herzogtümern, ein Flickenteppich von Mittel- und Kleinstaaten, ohnmächtig gegen die Deutschland umgebenden Zentralstaaten, Keim neuer Konflikte, nicht zuletzt durch den sich schon abzeichnenden Dualismus zwischen der Präsidialmacht Österreich und dem durch Gebietszuwachs wieder erstarkenden Preußen.

Die Herrschaftshäuser begannen im Gegensatz zu allen Volksbestrebungen eine restaurative, reaktionäre Politik, die ganz auf die Wiederherstellung der alten Ordnung und Machtverhältnisse gerichtet war. So hielt es auch der nach Cassel zurückgekehrte hessische Kurfürst Wilhelm I., der zunächst Reformen versprach, einen neuen Verfassungsentwurf vorlegte und wieder zurückzog. Auch die Wiederherstellung der Landstände wurde nicht eingehalten und meist per Verordnungen regiert. Als nach Wilhelm I. Tod sein Sohn als Wilhelm II. die Regierung übernahm, erregte nicht nur sein Verhältnis zur bürgerlichen Emilie Ortlepp, vom Kurfürsten zur Gräfin von Reichenbach und vom österreichischen Kaiser zur Fürstin von Hanau und Horowitz erhoben, allgemeinen Anstoß, sondern vielmehr auch seine allgemeine Herrschaftspolitik.Es kommt zu Unruhen in Kurhessen, so dass sich Kurfürst Wilhelm II. zur Verlegung seiner Residenz nach Hanau genötigt sah und seinen Sohn, Kurprinz Friedrich Wilhelm, zur Mitregentschaft einsetzte. Der verfügte den Zollanschluß Kurhessens an Preußen, lag aber im ständigen Streit mit den Verfassungsorganen Landtag und Ständeversammlung. Das änderte sich auch nicht nach dem Tod Wilhelm II. und der Alleinherrschaft Kurfürst Friedrich Wilhelm I., so dass die revolutionären Erhebungen von 1848 auch in Kurhessen wirkten.

Die Reichsverfassung von 1849 wurde angenommen und Grundrechte publiziert. Die  Ständeversammlung setzte den Beitritt Kurhessens zur preußisch dominierten Deutschen Union (Am 26.05.1849 geschlossenes „Dreikönigsbündnis“ von Preußen, Hannover und Sachsen, das nach dem Scheitern des Verfassungswerkes der Frankfurter Nationalversammlung eine deutsche Bundesstaatsverfassung unter ausdrücklichem Ausschluß Österreichs, aber unter Leitung Preußens ausarbeiten sollte. Unter österreichischem und russischen Druck musste Preußen in der sogen. „Olmützer Punktation“ vom 29.11.1850 seine Pläne zurückziehen. U.a. akzeptierte Preußen hierin auch die sogen. Bundesexekution gegen Kurhessen) durch. Doch die Unionsverfassung erschwerte die Unterdrückung des andauernden Volkswiderstandes. Kurfürst Friedrich Wilhelms mächtigster „Handlanger“ war Minister Hassenpflug, der als „Hessenfluch“ konsequent gegen parlamentarische Rechte vorging und mit Hilfe von Österreich im deutschen Bundestag in Frankfurt am Main intrigierte. War die vom Volk beanstandete Ehe des Kurfürsten der erste Schritt zur Annäherung an Österreich, so folgte jetzt mit Hassenpflugs Politik ein zweiter Schritt. Wegen Haushaltsstreitigkeiten, Finanzen und Steuerverweigerung wurde vom hessischen Ministerium sogar der „Kriegszustand“ erklärt und Hassenpflug forderte im Frankfurter Bundestag das Eingreifen des Deutschen Bundes in die hessischen Angelegenheiten. Im November 1849 überschreitet deshalb ein österreichisch-bayrisches Armeekorps, die sogen. „Strafbayern“ die kurhessische Grenze.

Kurfürst Friedrich Wilhelm kehrt nach Cassel zurück und lässt hessische Beamte, Richter und Offiziere vor Gericht stellen. Die Verfassungsstreitigkeiten dauern an,Preußen und Österreich mischen sich ein, und erst nach Hassenpflugs Sturz wurden 1862 die fortschrittliche Verfassung von 1831, das Wahlgesetz und die Geschäftsordnung der Stände von 1848 wieder eingesetzt.

Inzwischen hatte die sogen. Schleswig-Holstein-Frage – die hier nicht weiter betrachtet werden kann – im Deutschen Bund zu neuen Spannungen geführt. Nach dem polnischen Aufstand gegen die Besatzungsmacht Russland hielt es Dänemark für günstig, seine Pläne hinsichtlich der Herzogtümer Schleswig und Holstein umzusetzen.

Dänemark beabsichtigte im Widerspruch zum sogen. Londoner Protokoll (08.05.1852 , Anerkennung von Prinz Christian von Schleswig -Holstein – Sonderburg – Glücksburg von allen Großmächten und Schweden) die Eingliederung Schleswigs in den dänischen Gesamtstaat. Bismarck, der in Preußen mit einer starken liberalen Oppositionzu kämpfen hatte, kam der aufbrechende Streit sehr zupass, zumal er die Annektierung Schleswig-Holsteins längst im Visier hatte. Es gelang ihm aber, durch das Pochen auf den Londoner Vertrag, Österreich noch einmal auf seine Seite zu ziehen. AlsDänemark auf die ultimative Aufforderung, die den Londoner Abmachungen zuwiderlaufende Gesamtstaatsverfassung zurückzuziehen, nicht reagierte, überschritten am 1. Februar 1864 preußische und österreichische Truppen die Grenze nach Dänemark. Die Kampfhandlungen endeten mit dem sogen. Wiener Frieden vom 30.10.1864, in dem man sich über eine gemeinsame Herrschaft über Schleswig und Holstein einigte. Doch die Streitigkeiten zwischen Preußen und Österreich brechen rasch wieder auf.

Der stockkonservative Bismarck überraschte alle liberalen und progressiven Kräfte, als er im April 1866 im Frankfurter Bundestag den Antrag einbringt, ein Nationalparlament zu berufen, das aus allgemeinen und direkten Wahlen  hervorgehen und über eine Reform der Bundesverfassung beraten soll,  ein Affront gegen das Kaisertum Österreich, die Präsidialmacht im Deutschen Bund! Fast gleichzeitig überträgt Österreich im Juni 1866 die Entscheidung in der Schleswig-Holstein-Frage dem Frankfurter Bundestag und sagt sich damit vom Gasteiner (14.08.1865, Vertrag zwischen Österreich und Preußen  über die provisorische Verwaltung der Fürstentümer Schleswig und Holstein, am 20.08.1865 von Kaiser Franz Joseph und König Wilhelm unter-zeichnet. Die Verwaltung Holsteins mit überwiegend deutscher Bevölkerung geht an Österreich, die von Schleswig mit dänisch- deutscher Bevölkerung an Preußen. Lauenburg wurde gegen eine Entschädigungszahlung in Höhe von 2,5 Mio. Thaler von Österreich an Preußen abgetreten) und Londoner Vertrag los, ein Affront gegen Preußen! Sofort rücken als Antwort  am 9. 6. 1866 preußische Truppen in Holstein ein. Außerdem unterbreitet Bismarck jetzt im Bundestag die Grundzüge einer neuen Bundesverfassung o h n e   Österreich.

Daraufhin beschließt die mehrheitlich auf österreichischer Seite stehende Mehrheit am 14. 6. 1866 die Mobilmachung der Bundestruppen. Preußen erklärt als Antwort den „Bundesvertrag“ für gebrochen und erloschen. Der hessische Kurfürst Friedrich Wilhelm I. hatte sich entgegen aller mahnenden Einwände von Ministern, Offizieren, Ständen und trotz seiner engen verwandtschaftlichen Beziehungen zu Preußen (er war der Sohn von Auguste, Tochter des preuß. Königs Friedrich- Wilhelm II.) am 14. 6. 1866 für den Bundesbeschluß, und damit auf dieSeite Österreichs gestellt. Zudem wies er alle preußischen Vermittlungsversuche ab und befahl die sofortige Mobilmachung der hessischen Truppen.

Schon am 16. 6. 1866 rückten preußische Truppen in Kurhessen ein und besetzten die Residenzstadt Cassel. Der hessische Kurfürst Friedrich Wilhelm I. wurde gefangen genommen und in Gefangenschaft nach Stettin abgeführt, oder wie es hieß „vom preußischen König eingeladen, für die Dauer des Krieges seinen Wohnsitz nach Preußen zu verlegen“. In seiner Begleitung befand sich u.a. Hauptmann Friedrich Brack, der spätere Bürgermeister von Schmalkalden. Die hessischen Truppen hatten bis auf ein Gefecht nicht in die Kampfhandlungen eingegriffen.

Am 22. 6.1866 überschritt die preußische Hauptarmee die böhmische Grenze und besiegte am 3. 7. 1866 die Bundestruppen bei Königgrätz vernichtend. Während im Friedensschluss von Prag am 23.8.1866 der Territorialbestand von Österreich, Sachsen, sowie aller süddeutschen Staaten zugesichert wurde, annektierte Preußen das Königreich Hannover,  das Fürstentum Nassau, die Stadt Frankfurt sowie   K u r h e s s e n .  Schon am 16.8.1866, also noch vor der Unterzeichnung des Friedensvertrages, gab König Wilhelm von Preußen in einer Botschaft an den Landtag bekannt, dass er zur Annexion dieser Staaten entschlossen sei.

Am 20. 9. 1866 wurde die „Vereinigung“ des ehemaligen Kurfürstentums Hessen mit dem preußischen Königreich per Gesetz bekanntgegeben:

…“Wir, Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen etc. etc. verordnen mit  Zustimmung beider Häuser des Landtages was folgt:

§ 1.

Das Königreich Hannover, das Kurfürstenthum Hessen, das Herzogthum Nassau und die freie Stadt Frankfurt werden in Gemäßheit des Artikels 2 der Verfassungs-Urkunde für den preußischen Staat mit der preußischen Monarchie vereinigt…

Gegeben Berlin, den 20. September 1866                   Wilhelm“ (Sammlung von Gesetzen für Kurhessen, Jahr 1866 – Nr. XIV – September)

Am 8.10.1866 verfügte König Wilhelm in einem Patent u.a.

"Wir befehlen, die Preußischen Adler an den Grenzen zur Bezeichnung Unserer Landesherrlichkeit aufzurichten..."

Kurz vorher begrüßt und umarmt König Wilhelm in einer Allerhöchsten Proklamation vom 3. 10.1866 alle Kurhessen als seine neuen Landeskinder.

Aber schon am 14. September 1866, also deutlich vor den von König Wilhelm erstmals geäußerten Annexionsplänen, und vor der gesetzlichen Verkündung in seinem „Besitznahmepatent“ vom 3. 10. 1866 schenkte der preußische König die ihm zu dieser Zeit noch nicht gehörenden  in der Herrschaft Schmalkalden gelegenen hessischen Staatsforsten mit 8665.0 ha an Herzog Ernst II. von Sachsen - Coburg und Gotha.

Bismarcks Angebot an Herzog Ernst II., die gesamte Herrschaft Schmalkalden dem gothaischen Staat einzugliedern, lehnte Ernst II. dankend ab, da das Zugewinngebiet zu arm und deshalb für ihn eine Belastung sei. Die Jagd wäre aber für ihn sicher von großem Interesse.

(Diese Schenkung wirkt über Revolution und Weltkrieg II mit seinen Folgen bis in unsere Tage).

Bemerkenswert an der Schenkung sind insbesondere zwei Fakten:

1. Die Dotation erfolgt am 14. 9. 1866 deutlich vor Verkündung der    Annexion und stellt folglich die Weitergabe einer „Kriegsbeute“ dar.

2.  Die Dotation  erfolgte nicht an das Herzogtum Sachsen – Coburg – Gotha,  sondern vielmehr als persönliches Eigentum im Sinne eines fideikommissarischen  (Nach preußischem Recht ein Wertobjekt, meist Grundbesitz, das unveräußerlich und nur innerhalb von Familien nach Erbfolge ungeteilt an ein anderes Glied der Familie übergeht) Privateigentums an das Hzgl. Sachsen – Coburg und Gothaischen Haus.

Anlass für die großzügige Schenkung sollte nach König Wilhelm der Dank an Herzog Ernst II.

von S.C.G. für geleistete militärische Hilfe sein. Die gothaischen Truppen hatten im Krieg die taktische Aufgabe übernommen, den Zusammenschluss der feindlichen bayrischen und hannoveranischen  Armeen  zu verhindern. Sie hatten in den Gefechten bei Langensalza Tote und Verwundete zu beklagen, die Bevölkerung durch auferlegte Truppendurchzüge und Biwaklager Belastungen hinnehmen müssen.

In einer Vereinbarung des Bevollmächtigten S.M. des Königs von Preußen und S.H. dem Herzog von Sachsen – Coburg – Gotha heißt es:

… „S. M. d. König von Preußen, geleitet von dem Wunsche, S. H., dem Herzog von S.C.G. für die im Laufe der letzten kriegerischen Ereignisse gebrachten Opfer eine Entschädigung zu gewähren und zugleich ein Beweis des Anerkenntnisses der getreuen Bundesgenossenschaft G. H. vom ersten Anfang des Krieges bis zuletzt und der threuen und wirksamen Theilnahme des Herzoglichen Contingents an der kriegerischen Action, tritt die in der ehemaligen kurhessischen Herrschaft Schmalkalden gelegenen Staatsforsten mit allem Zubehör an Forsthäusern, Pirschhäusern, Feld- und Wiesengrundstücken, Teichen und Fischereien und allen Inventarien etc. an S. H. den Herzog von Coburg und Gotha ab….“

Wie reagierte nun die Bevölkerung der ehem. kurhessischen Gebiete, im speziellen die der Herrschaft Schmalkalden auf den Hoheitswechsel ? Es  wurde schon gesagt, dass das Casseler Interesse an der hessischen Exklave Schmalkalden seit kurhessischen Zeiten, also seit Beginn des 19. Jh. spürbar nachgelassen hatte. Man sagte, dass missliebig gewordene Beamte nach hier versetzt wurden und sprach vom „Hessisch-Sibirien“. Die wirtschaftliche Situation der zahlreichen Handwerksbetriebe hatte sich zur gleichen Zeit ständig verschlechtert. Schon nach den negativen Folgen des Siebenjährigen Krieges, dem preußisch-französichen Krieg von 1806, den Lasten des Befreiungskrieges 1813, der beginnenden industriellen Fertigungsweise, dem bodenständigen Beharren auf der Produktionsweise der Väter einerseits und den wiederholt schlechten Ernten auf  kargen Böden andererseits war die Situation der ca. 45.000 Einwohner der Herrschaft Schmalkalden schlecht. Es bestanden wenig Sympathien für das kurhessische Haus, wenn auch die Stadt beim Tod von Kurfürst Wilhelm II. 1847 ein vierwöchentliches Trauergeläute anordnete, bei dem die historische Große Oster sprang.

Um die Notlage zu lindern, organisierte der damalige Bürgermeister Utendörfer „Notarbeiten“, wie den Ausbau des in schlechtem Zustand befindlichen Forstweges ins Pfaffenbachtal  bis zu den Landwehrgräben am Steinkopf auf Kosten der Stadt, an der bis zu 385 Arbeiter beschäftigt waren. Arbeitslose Bergarbeiter aus Herges-Vogtei bauten die Fortsetzung der Straße bis ins Trusetal.

Im August 1866 kamen 225 preußische Soldaten zur „Besitzergreifung“ nach Schmalkalden. Sie wurden von der Bevölkerung freundlich aufgenommen und rückten schon am 8. Oktober wieder ab.

Im sog. preußischen „Diktaturjahr“ (Von der preußischen Regierung für die Zeit vom 01.10.1866 bis 01.10.1867 in Vorsorge auf evtl. zu erwartende Widerstände in den Annexionsgebieten ausgerufen) ergoss sich auf die ehem. Kurhes-sichen Gebiete eine wahrhaft preußische Gesetzesflut, die „Wolken-bruchgesetzgebung“ (Zu den wichtigsten Gesetzen gehörte das über die Abschaffung der Zünfte vom 29.03.1867 sowie das über die Beschäftigung von Jugendlichen in der Industrie vom 22.09.1867)  und einhergehend eine Verwaltungsreform. Die Herrschaft Schmalkalden kam zur neu gebildeten Provinz Hessen-Nassau und darin zum Regierungsbezirk Cassel. Die Regierungsbezirke wurden nach preußischem Muster in Landkreise unterteilt und die Herrschaft Schmalkalden somit zum Landkreis „Herrschaft Schmalkalden“.

Doch schon bald wurde gerade dieser Landkreis vom preußischen Oberpräsidenten von Witzleben in Frage gestellt. Er sollte nach seinen Plänen dem schon vorher preußischen Landkreis Schleusingen zugeschlagen werden. In einer ausführlichen Stellungnahme vom 23. 1. 1867 sprach sich der damalige Schleusinger Landrat Herold ausdrücklich gegen die Verschmelzung aus und führte topographische Gründe am Beispiel Brotterode / Kreisstadt Schleusingen, unterschiedliche kirchliche Zugehörigkeit, Unterschiede bei Handel und Industrie, bei Agrar- und Kommunalverhältnissen, aber auch charakterliche Unterschiede bei der Bevölkerung an. Obwohl beide hennebergisch-fränkisch, seien die Bewohner der Herrschaft Schmalkalden durch die jahrhundertelange hessische Prägung mit Schleusingern nicht recht kompatibel. Auch sollte man zwei arme Kreise nicht vereinen. Dagegen sollten die Schleusinger Orte Viernau und  Christes, weil näher an Schmalkalden gelegen,  dem Kreis Schmalkalden zuschlagen.

Allmählich besserten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse unter preußischer Herrschaft. Teile des „Kurhessischen Hausschatzes“, die der ehem. Kurfürst nach einem „Auseinandersetzungs Vertrag“ mit Preußen nicht mit ins böhmische Exil nehmen konnte und den ehemalig kurhessichen  „Staatsschatz“ verwandte Preußen auf Druck der Kommunalstände zum dringend nötigen Aufbau des Landes. Für die Herrschaft Schmalkalden brachten neue Verkehrsanbindungen, Entwicklung der Industrie, Ausbau des Schulwesens allmählichen Aufstieg, der in der Zeit nach der Reichsgründung gefestigt werden.

Grenzadler an der Neuen Ausspanne zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Am 3. Oktober 1866 war die kgl. preuß. Anordnung auf Errichtung preußischer Hoheitszeichen ergangen. Sie wurden an den Straßenüberhängen der Herrschaft zu den Territorien der sächsich-thür. Herzogtümer Sachsen – Coburg – Gotha und Sachsen – Meiningen  errichtet. Mit dem Ende des 2. Weltkrieges und der von den alliierten Siegermächten befohlenen Auflösung des Staates/Landes Preußen als „Hort immer-währenden Militarismus’“ endete auch für die Herrschaft Schmalkalden die „Preußenzeit“. Die SMAD ( Sowjetische Militäradministration Deutschland, höchstes Verwaltungsorgan der sowjetischen Besatzungsmacht. SMATh., Sowjetische Militäradministration in Thüringen) verfügte die Beseitigung der Preußenadler. Sie wurden aus den Sandsteinsäulen herausgebrochen und vernichtet (?).

Der Wirt des Gasthauses „Kleiner Inselsberg“ zeigte Zivilcourage und bewahrte den am Standort Grenzwiese abgenommenen Grenzadler auf und brachte ihn aus Sicherheitsgründen über die inzwischen entstandene innerdeutsche Grenze. Nach der politischen Wende 1989  gelangte der Adler in den Besitz der Wirtstochter, Frau Christa Malsch, und die Kunde, dass einer der Grenzadler noch unversehrt erhalten sei. Verdienstvolle Heimatfreunde um Jochen Heusing aus Schmalkalden, Helmut Köllner, Gerhard Ringer aus Kleinschmalkalden und Dr. Stötzer aus Tambach-Dietharz konnten sich sofort eine Wiederanbringung an den Originalstandorten vorstellen. Sie organisierten die notwendigen finanziellen Mittel bei der Unteren Denkmalschutzbehörde des Landkreises Schmalkalden und ließen in Zella-Mehlis Neuabgüsse herstellen, die dann wiederum am 3. Oktober 1992 an den Standorten Waldschenke bei Kleinschmalkalden, an der Grenzwiese bei Brotterode, an der Neuen Ausspanne am Nesselberg und an der Schützenwiese bei Oberhof feierlich angebracht wurden. 1993 folgten die Aufstellung in Herrenbreitungen und eine Wiederanbringung in Bairoda,  2006 eine Wiederaufstellung am Ortsausgang Mittelschmalkalden (mit Hilfe der Freunde der Todenwarth.

Am 3./4. September 2004 stahlen gewissenlose Souvenirjäger oder kriminelle Metalldiebe den Grenzadler an der Neuen Ausspanne mit  brachialer Gewalt. Polizeiliche und staatsanwaltliche Nachforschungen ergaben keinen Hinweis. Wieder stand der Grenzadler „gesichtslos“.

Bild: Ulrich Rüger, der gesichtslose Grenzadler an der Neuen Ausspanne

Bild: Ulrich Rüger, kurz vor dem Diebstahl entstand dieses Foto

Auf Initiative des Vereins für Schmalkaldische Geschichte und Landeskunde e.V. wurde der gesamte Stein in diesem Jahr mit finanzieller Hilfe der Unteren Denkmalschutzbehörde  des Landkreises Schmalkalden-Meiningen und der Gemeinde Floh-Seligenthal, für die wir hier herzlich danken, vom Natursteinbetrieb Köpler in bewährter Weise restauriert, wieder mit seinem Preußenadler versehen  aufgestellt und soll heute, genau 141 Jahre nach der von Preußen befohlenen Aufstellung, wieder der Öffentlichkeit übergeben werden.

Inzwischen wissen wir – und können es auch wieder sagen – dass Preußen viel mehr war als Militarismus:  Disziplin und Ordnung, wissenschaftlich-technischer Fortschritt, vor allem aber auch Toleranz. So erinnert uns der wieder aufgestellte Adler an fast 80 Jahre Preußenzeit für die Herrschaft Schmalkalden, aber auch an die Überwindung der Kleinstaaterei. Wir sind nun „Hessen“ im Freistaat Thüringen in der Bundesrepublik Deutschland und endlich auch in einem vereinten fast grenzenlosen Europa.

So übergeben wir den Stein der Öffentlichkeit mit der Bitte um Schutz und Bewahrung.

Schmalkalden im September 2007                                                                                                                             Hartmut Burkhardt

Mein Dank gilt den Jagdhornbläsern aus Floh-Seligenthal, die unsere kleine Feierstunde würdig umrahmten, dem Diabaswerk Nesselgrund, das uns ganz unbürokratisch und schnell eine LKW-Ladung Schotter zur Verfügung stellte und meinen Freunden des Geschichtsvereins und mir ermöglichte, die Umgebung des Grenzadlers in einen „begehbaren“ Zustand zu versetzen.

Literatur

Engelberg, Bismarck  Akademieverlag Berlin 1986

Bismarck, Dokumente seines Lebens  Reclam 1986

Lemberg, Wolff, Das nördliche Hessen, Zeugnisse seiner Geschichte, Heft 5 Kurhessen wird preußisch   1995

Lehnert, Die Kriegsereignisse des Jahres 1866 im Hzgt. Gotha z.Zt. des Treffens von Langensalza, 1899 Repro: Rockstroh

Hoffmeister, Wahl, Die Wettiner in Thüringen   Rhino-Verlag Arnstadt und Weimar 1999

Chronik von Schmalkalden, Heft 2 u. 3   Stadt- und Kreisarchiv Schmal-kalden 2007

Zeitschrift für Hennebergische Geschichte und Landeskunde zu Schmalkalden, Heft XI

Pistor, Stadt und Herrschaft Schmalkalden im Kriege 1866, Heimatkalender 1916

Akten der hzgl. Sachsen-Gotha und Coburgischen Hauptverwaltung, Forst-abteilung Reinhardsbrunn

Unterlagen des Stadt- und Kreisarchivs Schmalkalden.

Köllner, Dokumentation zur Wiederanbringung der ehem. Preußischen Grenzadler 2005

Brockhaus Konversationslexikon 1898

Akten des Stadt- und Kreisarchivs Schmalkalden

Weitere Bilder

historisches Foto vom Grenzadler bei Oberhof zu Beginn des 20. Jh. (Bild: archiv-rüger)

der Oberhofer Grenzadler, aufgenommen zur Pfingstrunst 1940 (archiv-rüger)

Foto des Grenzadlers bei Oberhof aus dem Jahre 2008

neueres Foto vom Oberhofer Grenzadler von Manfred Kastner (vergl. dazu auch Rennsteigchronik 2014)

Bauarbeiten am Grenzadler bei Oberhof (November 2014)

Grenzadler am Kleinen Inselsberg, Grenzwiese aufgenommen zur Rennsteigneuvermessung im Jahre 2003, mit  Aufschrift auf dem Obelisk, die jeglichen denkmalschutzrechtlichen Regeln widerspricht